Die neue Gentechnik Crispr/Cas9

Forscherin hält Genom im Reagenzglas in der Hand

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit neuen Gentechnik-Verfahren kann die Erbinformation von Pflanzen verändert werden, ohne fremdes Erbgut zu nutzen.
  • Eine rechtliche (De-)Regulierung für den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren wird derzeit auf EU-Ebene diskutiert. 
  • Eine verbindliche Risikoprüfung, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und damit Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Landwirte sollte nach Ansicht der Verbraucherzentrale Niedersachsen dabei unbedingt sichergestellt werden.
Stand: 30.04.2024

Bereits am 29. April 2021 hat die EU-Kommission als Ergebnis einer Studie erklärt, dass die derzeit geltenden Rechtsvorschriften für genveränderte Organismen (GVO) aus dem Jahr 2001 für die neue Gentechnik an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden müssten. Die Kommission ist der Auffassung, dass Pflanzen, die durch die Genschere (neue genomische Techniken) entstanden sind, im Einklang mit Zielen des europäischen „Green Deal“ (klimaneutraler Kontinent) zu einem nachhaltigem Lebensmittelsystem beitragen. 

Ein Vorschlag der EU-Kommission zur Neuregulierung des Gentechnikgesetzes wurde im Europäischen Parlament vorgestellt und abgestimmt. Die finale Entscheidung und der Gesetzgebungsprozess werden jedoch erst nach den Europa-Wahlen im Juni mit einem neuen EU-Parlament stattfinden.

Der Vorschlag sieht vor Pflanzen, die mit "neuen genomischen Techniken (NGT)" gezüchtet werden, den konventionell gezüchteten Pflanzen nahezu gleichzustellen. Damit würde die vorherige Risikoprüfung im Einzelfall vor dem Einbringen der Pflanze in die Umwelt entfallen. Auch die Kennzeichnung als genetisch veränderter Organismus (GVO) würde entfallen und somit auch die Rückverfolgbarkeit. Die Folge: Konsumentinnen und Konsumenten könnten zukünftig nicht mehr zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen Produkten unterscheiden. 

Das aktuelle europäische Recht setzt den Technologien der Gentechnik strenge Grenzen. Dabei entscheidet jedes Mitgliedsland selbst, ob es den Anbau zugelassener genetisch veränderte Pflanzen erlaubt (Opt-Out-Regelung). Deutschland hat das „Selbstbestimmungsrecht“ genutzt und ein Anbauverbot aller gentechnisch veränderten Pflanzen erwirkt, die auf EU-Ebene zugelassen sind oder für die ein Antrag gestellt ist. Damit konnte eine Art „Stillhalteabkommen“ zwischen den Ländern erreicht werden. 

Aktuell sind für den Import in die EU 98 gentechnisch veränderte Pflanzen (Sojabohnen, Mais, Raps, Baumwolle, Zuckerrübe) zugelassen und dürfen damit europaweit als Lebens- und Futtermittel vermarktet werden. 

Was unterscheidet die neue Gentechnik Crisp/Cas9 von bisherigen Verfahren?

Unter neuer Gentechnik (Genome Editing) werden verschiedene molekularbiologische Techniken zur Manipulation des Erbgutes von Menschen, Tieren, Pflanzen und Pilzen verstanden. Die Crispr/Cas9-Methode macht es möglich, Pflanzen gentechnisch zu verändern, ohne fremdes Erbgut zu nutzen, wie das bei früheren gentechnischen Verfahren üblich war. 
CRISPR/Cas9 (Aussprache: Krisper Kas) ist eine gentechnische Präzisions-Schere, mit der sich Erbmaterial punktgenau schneiden, nach Wunsch umbauen und ergänzen lässt. Dabei lässt sich am Ende meist nicht mehr feststellen, ob die genetische Veränderung durch eine herkömmliche konventionelle Züchtung oder im Labor stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass die Methode einfach in der Labor-Handhabung und somit deutlich kostengünstiger ist. 

Erklärung: Genschere CRISPR/Cas9

CRISPR bezeichnet einen bestimmten Abschnitt auf der DNA - den Speicher der Erbinformation. Es ist die Abkürzung für 'Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats'. Cas9 ist ein Enzym, das aus dem Bakterium Staphylococcus aureus gewonnen wird. Es erkennt den Abschnitt CRISPR und schneidet dort in die DNA.

Große Chance oder ökologisches Desaster?

Crispr/Cas9 hat vor allem für die landwirtschaftliche Pflanzenzüchtung eine große Bedeutung. Durch die neue Technologie sollen Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen schädliche Pilze, Viren oder Insektenbefall werden. Zugleich können krankheitsbedingte Ertragsverluste und der Pestizidaufwand minimiert werden. Die Saatgutbranche spekuliert auf neue Märkte, Forschungsinstitute verweisen auf die Anschlussfähigkeit im internationalen Vergleich.  Auch die Agrarminister vieler Länder stimmten für eine breite Zulassung der grünen Gentechnik, schließlich könnten Mutationen im eigenen Erbgut – so wie es die Genschere erzeugt – auch in der Natur und durch klassische Kreuzung vorkommen. 

Kritiker jedoch warnen, dass Crispr und Co. noch viel zu neu seien, um eine strenge Regulierung und Einzelfallprüfung beiseite zu schieben. Eine durch die neue Gentechnik trockenresistente Feldfrucht könnte zum Beispiel Gebiete besiedeln, in denen sie vorher nicht überlebensfähig war und sich auf Kosten anderer geschützter Wildpflanzen ausbreiten. Viele Wissenschaflter sind sich einig: Bei einer Deregulierung sei das Ausbreiten von NGT-Pflanzen in der freien Natur unvermeidbar und hätte voraussichtlich verheerende Auswirkungen auf unsere Ökosysteme. Auch bei der Freisetzung von Bakterien aus NGT sind die vielfältigen Wechselwirkungen nicht absehbar und Bakterien in keinem Fall rückholbar. Im Vergleich zur klassischen Züchtung könnte die Anwendung von NGT zu wirkmächtigeren Veränderungen im Genom führen und das Risiko für ökologische Konflikte deutlich erhöhen. Zudem warnen Experten vor den Auswirkungen der Genpatente, deren Lizenzkosten kleine Firmen nicht aufbringen können. 

Gibt es schon Lebensmittel, die mit neuen genomischen Techniken hergestellt wurden?

Zu Forschungszwecken sind bereits viele verschiedene Lebensmittel mit der Genschere verändert worden. In China und den USA müssen genom-editierte Pflanzen nicht kontrolliert oder als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Es ist davon auszugehen, dass zukünftig eine Reihe entsprechender Nutzpflanzen auf den Markt kommen wird. Angebaut werden unter anderem in den USA und Kanada eine Rapssorte mit erhöhter Resistenz gegen ein bestimmtes Unkrautbekämpfungsmittel und eine Sojapflanze mit veränderter Fettsäuren-Zusammensetzung für Speiseöl. Zudem werden Versuche an Kartoffeln vorgenommen, die weniger schnell braun werden, wenn sie beschädigt wurden. Ein weiteres Ziel ist die Förderung pflanzenbasierter Proteinquellen. 

Auch in der Tierzucht könnte die neue Gentechnik zunehmend eine Rolle spielen, beispielsweise bei der Erhöhung der Muskelmasse von Nutztieren. Laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sind für die Anwendung neuer genomischer Techniken (NGT) bei Tieren und Mikroorganismen notwendige wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere zu Sicherheitsaspekten, bisher unzureichend. 

Sind schon Crispr-veränderte Lebensmittel im Supermarkt zu finden?

Davon ist erstmal nicht auszugehen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist es derzeit verboten, derart hergestellte Lebensmittel ohne Zulassungsverfahren und Kennzeichnung auf den europäischen Markt zu bringen. 

Langfristig besteht jedoch die Gefahr, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mehr zwischen gentechnisch veränderten und anderen Produkten wählen können, wenn eine Kennzeichnungspflicht der NGT entfällt. Zudem können Crispr-veränderte Lebensmittel unbemerkt über Importe auf den europäischen Markt gelangen.

Wie kann man veränderte Lebensmittel erkennen?

Lebensmittel und Futtermittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten, aus ihnen bestehen oder hergestellt wurden, müssen seit 2004 aufgrund des europäischen Gentechnikrechts EU-weit gekennzeichnet werden. So muss im Zutatenverzeichnis oder auf dem Etikett die Angabe "genetisch verändert" oder "aus genetisch verändertem (Bezeichnung des Organismus – zum Beispiel Mais) hergestellt" angegeben sein. Dies gilt auch, wenn die gentechnisch veränderten Bestandteile im Endprodukt nicht nachgewiesen werden können (z. B. bei Pflanzenölen aus GVO). Sie unterliegen ebenso der Kennzeichnungspflicht. Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten damit die Wahlfreiheit, sich für oder gegen gentechnisch veränderte Produkte zu entscheiden.

Keine Kennzeichnungspflicht bei Tierprodukten und Spuren von unter 0,9 Prozent, also unter 9 Gramm je Kilogramm.

Keine Kennzeichnungspflicht besteht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. Ebenso wenig müssen Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten gekennzeichnet werden, die zufällige oder technisch unvermeidbare Spuren von GVO oder daraus hergestelltem Material bis zu einem Anteil von höchstens 9 Gramm je Kilogramm enthalten.

Öko-Lebensmittel sind ohne Gentechnik erzeugt

Bio-Betriebe setzen gemäß den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung keine Gentechnik ein und beziehen sich auch bezüglich der neuen Techniken auf das EuGH-Urteil: Es handelt sich um gentechnische Verfahren, die im ökologischen Landbau grundsätzlich nicht zugelassen sind. Auch die Fütterung von Nutztieren mit gentechnisch veränderten Futtermitteln ist nicht erlaubt.

Forderung: Regulierung der neuen Technik nach der Gentechnikgesetzgebung

Die Verbraucherzentralen setzen sich dafür ein, dass das Gentechnikrecht aus Vorsorgegründen auch weiterhin für neue gentechnische Verfahren gilt und nicht aufgeweicht werden darf. So erzeugte Pflanzen und Tiere müssen lückenlos rückverfolgbar sein und weiterhin gekennzeichnet werden. Potenzielle Risiken für Umwelt und Gesundheit müssen auch bei den neuen Techniken vor der Marktzulassung geprüft und in der Anwendung beobachtet werden (Langzeitfolgen). 

Wir fordern:

  • Strenge Zulassungsverfahren und Risikoprüfung  -  auch für neue Gentechnikverfahren.
  • Verbindliche Kennzeichnung von Gentechnik einschließlich neuer Gentechnik in Lebensmitteln
  • Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft durch strenge Ko-Existenzregeln zur Sicherung der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher.
  • Förderung unabhängiger Risikoforschung und Entwicklung von Nachweisverfahren für neue Gentechnik.

Bücher & Broschüren